Das Mysterium der Improvisation – Entmystifizierung eines Konzepts

Improvisation wird in der Musikwelt oft als eine Art heiliges Mysterium dargestellt. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Musiker*innen, die scheinbar aus dem Nichts neue musikalische Ideen erschaffen, als Genies gefeiert werden. Viele von uns kennen die Sprüche, die immer wieder im Zusammenhang mit Improvisation fallen: „Es ist eine Gabe“, „Das kann man nicht lernen“, „Spiel nur, was du hörst“, oder „Man muss sich alles vorstellen können.“ Doch was bedeuten diese Aussagen wirklich – und wie helfen sie uns dabei, improvisieren zu lernen? Oft bleibt Improvisation in diesen Gesprächen ein schwer fassbares, fast übermenschliches Phänomen. Das Problem: Solche Aussagen machen uns oft eher Angst vor Fehlern, als dass sie uns ermutigen, einfach zu spielen und zu experimentieren.

Die große Überhöhung

Manchmal wird Improvisation als Mysterium dargestellt. Es gibt die Vorstellung vom Genie, dem das Talent geradezu zufällt, als wäre es ein angeborenes Wunderkind. Solche Bilder suggerieren, dass Improvisation eine Kunst sei, die nur wenigen Auserwählten vorbehalten ist. Doch das ist irreführend. Improvisation ist nichts anderes als eine Form des Ausdrucks und der Kommunikation. Sicherlich gibt es Menschen, denen es leichter fällt, ihre Ideen in Musik umzusetzen, aber letztlich ist es eine Fähigkeit, die jede*r entwickeln kann – und die, wie jede andere Fähigkeit, durch Übung und Erfahrung wächst.

Die Illusion der „richtigen“ Töne

Eine andere Überhöhung besteht darin, dass uns beigebracht wird, wir müssten bei der Improvisation immer den perfekten Ton treffen, und „Avoid Notes“ – also Töne, die wir vermeiden sollten – seien das Schlimmste, was passieren kann. In dieser Denkweise geht es häufig nur darum, Fehler zu vermeiden, was dazu führt, dass viele von uns die Angst entwickeln, etwas „Falsches“ zu spielen. Doch in der Realität gibt es keine „falschen“ Töne. Jeder Ton hat das Potenzial, Teil eines kreativen Prozesses zu werden, und auch vermeintliche „Fehler“ können spannende musikalische Wendungen bieten.

Die Angst vor Fehlern

Die Vorstellung, dass man immer alles „richtig“ spielen muss, sorgt dafür, dass viele Musiker*innen – mich eingeschlossen – beim Improvisieren Angst haben. Man versucht, Fehler zu vermeiden, und wird dadurch gehemmt. Der kreative Fluss wird blockiert, weil man ständig über das nachdenkt, was nicht sein darf. Das Problem ist nicht die Technik oder das Fehlen von musikalischem Wissen, sondern diese erlernte Angst vor dem Scheitern. Doch das Schöne an der Improvisation ist gerade, dass sie uns die Freiheit gibt, zu scheitern – und aus diesen Momenten etwas Neues zu erschaffen.

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Das Singen und die Vorstellungskraft

Es wird oft gesagt: „Du musst singen können, was du spielen möchtest“ oder „Du musst dir alles vorstellen können.“ Das klingt zunächst plausibel, kann aber auch überfordernd wirken. Was ist, wenn ich mir nicht alles vorstellen kann? Was ist, wenn ich nicht in der Lage bin, jeden Ton im Kopf zu hören, bevor ich ihn spiele? Muss das bedeuten, dass ich keine guter Improvisateur*in bin? Nein, denn Improvisation ist nicht nur ein geistiger Vorgang, sondern auch ein körperlicher, ein intuitiver. Manchmal folgt der Klang den Fingern, manchmal findet das Ohr erst später den Weg. Diese Art von Freiheit wird oft übersehen.

Der Weg zu einer entspannteren Improvisation

Anstatt uns auf diese mystischen Sprüche und die Überhöhung von Improvisation zu verlassen, sollten wir uns fragen, wie wir uns freier und ungezwungener mit Musik ausdrücken können. Der wichtigste Schritt dabei ist vielleicht, die Angst vor Fehlern abzulegen. Improvisation ist ein Prozess, ein Spiel mit Möglichkeiten, ein Experimentieren. Es geht darum, Spaß zu haben, sich auszuprobieren, sich auch in unvorhersehbare Richtungen zu bewegen – und nicht darum, eine perfekte Vorstellung abzuliefern.

Letztlich ist Improvisation nichts Mystisches, sondern ein natürlicher Teil des Musizierens, den wir alle entdecken können. Sie verlangt von uns nicht, dass wir geniale Visionen haben oder jeden Ton im Voraus hören, sondern dass wir bereit sind, uns auf das Unbekannte einzulassen und die Musik fließen zu lassen – auch, wenn nicht alles sofort perfekt klingt.

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